COVID-19 versus Arbeitsrecht

Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben in Zeiten der Corona-Pandemie zusätzliche Nebenpflichten zu beachten. Zwar gelten grundsätzlich weiterhin die allgemein auch vor der Corona-Krise bestehenden arbeitsrechtlichen Grundlagen ebenso wie die bisherigen Grundsätze zum Kurzarbeitergeld nahezu uneingeschränkt fort. Dennoch stellen sich aufgrund vieler besonderer Fallkonstellationen und (Eil-)Verordnungen des Bundeskabinetts (u.a. zum Kurzarbeitergeld) neue Situationen dar, die zusätzliche arbeitsrechtliche Fragen aufwerfen.

Nachfolgend werden einige dieser besonderen Fälle dargestellt und beantwortet:

I. Verhaltenspflichten während der Corona-Krise

1. Verhaltenspflichten für Arbeitgeber

Arbeitgeber haben bereits aus dem Grundsatz der Fürsorgepflicht gegenüber ihren Arbeitnehmern die Aufgabe, diese vor Erkrankungen anderer Arbeitnehmer zu schützen. Diese Verpflichtung beruht unter anderem auf § 618 Abs. 1 BGB, wonach der Arbeitgeber Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit zu schützen hat. Aus § 241 Abs. 2 BGB folgt ferner eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht, wonach der Arbeitgeber alles ihm zumutbare zu unternehmen hat, um die Gesundheitsgefahren in seinem Betrieb soweit wie möglich zu verhindern. Wichtig ist auch die Regelung des § 4 Nr. 1-ArbSchG, aus der folgt, dass die Arbeit immer so zu gestalten ist, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und psychische Gesundheit ausgeschlossen bzw. soweit wie möglich minimiert wird.

Aus diesen Grundsätzen folgen explizite Arbeitgeberpflichten:

– Einleitung aller erforderlichen Maßnahmen zur Reduzierung des Ansteckungsrisikos

– Bereitstellen von Hilfsmitteln wie Masken (zu empfehlen sind mindestens MSN Masken oder FFP2, FFP2 – Masken)

– Bereitstellen von Desinfektionsmittel

– regelmäßige Desinfizierung der Arbeitsräume, Arbeitsplätze etc.

– Reduzierung des persönlichen Kontaktes der Arbeitnehmer auf das Nötigste durch Implementierung von Schichtdiensten, Einrichtung Home-Office o.ä.

– Weisung zur Mitteilungspflicht der Arbeitnehmer auf etwaige Krankheitssymptome

– Suspendierungen von Arbeitnehmern bei Krankheitssymptomen

Aus § 241 Abs. 2 BGB treffen den Arbeitgeber Hinweis- und Aufklärungspflichten zur weiteren Umsetzung. Mithin die Pflicht die Arbeitnehmer über Ansteckungsrisiken im Unternehmen und damit verbundene Vorsichtsmaßnahmen zu informieren.

Folgen bei Pflichtverletzungen des Arbeitgebers:

Missachten Arbeitgeber diese o.g. Grundsätze, können Arbeitnehmer Zurückbehaltungsrechte aus        § 273 Abs. 1 BGB geltend machen. Arbeitnehmer können dabei, ohne ihren Lohnzahlungsanspruch zu verlieren, ihre Arbeitsleistung zurückhalten, bis der Arbeitgeber diese Missstände beseitigt hat. Bis zur Beseitigung bestehender (arbeitgeberseitigen) Pflichtverletzungen, befindet sich der Arbeitgeber im sog. Annahmeverzug.

2. Verhaltenspflichten für Arbeitnehmer während der Arbeitszeit

Auch Arbeitnehmer treffen während der Corona-Krise unterschiedliche Pflichten, die ebenso auf auch außerhalb der Krisenzeiten geltenden allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsrechts beruhen.

a. Arbeitsunfähigkeit – Mitteilung der Art / Verdacht der Erkrankung

So haben Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber immer zu informieren, sofern eine Arbeitsunfähigkeit über welche voraussichtliche Dauer vorliegt, § 5 Abs. 1 EFZG. Grundsätzlich treffen Arbeitnehmer aber aus diesem Grundsatz keine Informationspflichten dem Arbeitgeber mitzuteilen, aufgrund welcher Erkrankung eine Arbeitsunfähigkeit besteht.

Über diese Grundsätze können jedoch aus § 242 Abs. 2 BGB folgen, wonach der Arbeitnehmer den Arbeitgeber zu informieren hat, sobald eine ansteckende Krankheit – wie eben bei COVID-19 – vorliegt. Auch der Verdacht auf eine solche ansteckende Krankheit sollte bereits ausreichen, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber in Abweichung von § 5 Abs. 1 EFZG auch über die Art der Erkrankung bzw. deren begründeten Verdacht zu informieren hat.

Nach § 15 Abs. 1 ArbSchG haben Arbeitnehmer jederzeit für ihre eigene Gesundheit und die der anderen Arbeitnehmer, mit denen sie in Kontakt treten, zu sorgen bzw. sich entsprechend zu verhalten. Liegen Gefahren erkennbar vor, so haben Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber darüber unverzüglich zu informieren. Dies gilt z.B. bei bekannt gewordenen Ansteckungsfällen mit COVID-19 und eben auch bei Verdachtsfällen, § 16 ArbSchG. Diese Pflichten folgen aus den immer bestehenden arbeitsrechtlichen Nebenpflichten, §§ 241 Abs. 1, 242 BGB.

Aus diesen Grundsätzen treffen Arbeitnehmer u.a. folgende Pflichten:

– Mitteilung an Arbeitgeber über die Art der Erkrankung bei Infektionskrankheiten sowie bei Verdacht auf solche Infektionskrankheiten (COVID-19)

– Einhaltung der Maßnahmen des Arbeitsgebers zur Reduzierung des Ansteckungsrisikos

– Umsetzung der Maßnahmen und Nutzung der Hilfsmittel (Desinfektion, Abstandsregelungen etc.)

b. Ausnahmenregelung: Telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zunächst 23.06.2020

Derzeit gelten für Patienten mit leichten Erkrankungen der oberen Atemwege erleichternde Maßnahmen. Im Fall solcher Symptome können nach Einigung der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband Patienten nach telefonischer Rücksprache mit ihrem Arzt eine „online“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für derzeit bis zu 14 Tagen ausgestellt werden. Diese Fälle sind jedoch kein „Freifahrtsschein“ zur Arbeitsunfähigkeit, sondern unterliegen jeweils der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer auch erkrankt ist. Nähere Grundlagen der Voraussetzungen hierzu hat die KBV aufgestellt, die sie hier finden: Praxisinfo KBV

c. Erkrankung eines Arbeitnehmers an COVID-19 / Corona-Virus

In diesen Fällen ist aufgrund des Vorliegens einer Infektionskrankheit davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist. In diesen Fällen greift die Lohnfortzahlung aus dem EFZG, § 3 Abs. 1, soweit den Arbeitnehmer kein „Verschulden“ der Arbeitsunfähigkeit trifft.

Erfolgt aufgrund einer behördlichen Anordnung eine Tätigkeitsverbot des Arbeitnehmers nach § 31 S. 2 IfSG, so sind die Entschädigungsansprüche des Arbeitnehmers nach § 56 IfSG zu prüfen, da je nach Einzelfall eine Anspruch auf Entgeltfortzahlung entfallen kann. Dies ist z.B. der Fall, wenn den Arbeitnehmer aufgrund einer behördlichen Anordnung zur Einhaltung einer Quarantäne trifft und der Arbeitnehmer weiter arbeitsfähig ist. Hier geht der Fokus dann auf die Regelung des Entschädigungsanspruchs aus § 56 IfSG.

3. Verhaltenspflichten für Arbeitnehmer außerhalb der Arbeitszeit

Grundsätzlich können sich Arbeitnehmer außerhalb der Arbeitszeit auf das grundgesetzlich geschützte Recht der freien Entfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) berufen. Hierzu gehören nach Auffassung des BAG auch, dass Arbeitnehmer außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet sind, auf die „berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen“.

Während der Corona bedingten Pandemie treffen den Arbeitnehmer daher das Grundrecht auf freie Entfaltung einschränkende besondere – sonst nicht bestehende – zusätzliche Verpflichtungen. Hierzu gehört z.B. die Einhaltung aller behördlichen Anordnungen. Im Fall von Nichtachtungen – was natürlich immer eine Frage der Beweisbarkeit ist – können nach vorheriger Abmahnung arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen und Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers begründen. Diese Pflichten gehen allerdings nicht so weit, dass bei Nichtbeachtung von bloßen behördlichen oder wissenschaftlichen Empfehlungen eine arbeitsvertragliche (Neben-)Pflichtverletzung des Arbeitnehmers anzunehmen wäre. Werden von behördlicher Seite Reisewarnungen ausgesprochen, so stellt die Reise in Risikogebiete keine arbeitsvertragliche (Neben-)Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers dar. Aber auch bei solchen Beispielen sei hervorgehoben, dass dennoch im Fall einer Infizierung des Arbeitnehmers – soweit vom Arbeitgeber nachweisbar – im Risikogebiet ein Verschulden i.S.d § 3 Abs. 1 EFZG vorliegen könnte.

Kann der Arbeitgeber eine Infizierung des Arbeitnehmers in einem Risikogebiet nachweisen (dies ist im Hinblick auf die Maßnahmen zur Rückverfolgung von COVID-19 Infektionen sehr gut denkbar), so kann der Anspruch des Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung entfallen.

III. Kurzarbeitergeld während der Corona-Krise

In aller (Arbeitgeber-) Munde befindet sich das Kurzarbeitergeld. Auch vor „Corona-Zeiten“ gab es das Kurzarbeitergeld. Arbeitgeber können bei Auftragsrückgängen und einem dauerhaften Arbeitsausfall, zur Vermeidung von Kündigungen von Arbeitnehmern, die staatliche Hilfsmaßnahme beantragen. Üblicherweise waren bislang 30% eines nachweislich bestehenden, nicht nur vorrübergehenden Arbeitsausfalls eine der Voraussetzungen. Diese Grenze ist als eine der ersten Maßnahmen der Bundesregierung in der „Corona-Zeit“ auf 10% herabgesetzt worden. Arbeitgeber können, unter Darlegung und auch immer erforderlicher Nachweisbarkeit, bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen Kurzarbeitergeld beantragen. Arbeitgeber sollten sich bei der Beantragung immer vergewissern, dass sie die in den Anträgen der Agentur für Arbeit zu tätigen Angaben jederzeit so gut wie möglich nachweisen können. Um diesen, auch bei Nachprüfungen erforderlichen Nachweispflichten, auch gerecht zu werden, ist eine tägliche Dokumentation der Arbeitsausfälle und wirtschaftlichen Rückgänge vorzunehmen.

Einige wichtige Punkte zum Kurzarbeitergeld:

– Die generellen Anspruchsvoraussetzungen von Kurzarbeitergeld bleiben auch während der Besonderheiten zu Corona-Zeiten weiterhin bestehen.

– Die Bundesregierung hat bestimmte Erleichterungen bei der Beantragung und den Voraussetzungen zur Bewilligung von Kurzarbeitergeld erlassen.

– Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld liegt vorübergehend vor, wenn mindestens 10% der Beschäftigten einen Arbeitsentgeltausfall von mehr als bereits 10% haben.

– Kurzarbeitergeld kann für derzeit bis 1 Jahr bewilligt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen auch für bis zu 21 Monate.

–  Die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge werden für ausgefallene Arbeitsstunden bis zu 100% erstattet.

– Auch Leiharbeitnehmer/innen haben Anspruch auf Kurzarbeitergeld.

– Vorrübergehend besteht aktuell die Anspruchsvoraussetzung auf vorherigen Abbau von Zeitguthaben der Arbeitnehmer nicht.

– Kurzarbeit kann bei Vorliegen der Voraussetzungen unverzüglich angeordnet werden.

– Auf die Einbringung von Urlaub zur Vermeidung von Kurzarbeitergeld (sonst eine der „üblichen“ Voraussetzungen) wird für die Zeit der Corona-Krise – zunächst bis zum 31.12.2020 – seitens der Bundesagentur für Arbeit verzichtet.

– Negative Arbeitszeitsalden (Minusstunden) sind – befristet bis zum Jahresende – nicht vor Bewilligung des Kurzarbeitergeldes abzubauen.

– Gekündigte Arbeitnehmer/innen erhalten kein Kurzarbeitergeld.

– Arbeitnehmer erhalten mit Anordnung der Kurzarbeit im Unternehmen zusätzlich zum reduzierten Lohn das Kurzarbeitergeld (60 bzw. 67% des Lohnausfalls) vom Arbeitgeber ausgezahlt.

– Die Agentur für Arbeit erstattet Arbeitgebern nach Bewilligung das Kurzarbeitergeld rückwirkend. Arbeitnehmer haben außer ihrer Zustimmung zum Kurzarbeitergeld keine eigene Antragstellung vorzunehmen. Diese obliegt alleine dem Arbeitgeber.

1. Anspruchsvoraussetzungen

§ 95 SGB III setzt voraus, dass bei dem antragstellenden Unternehmen folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

– Erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall durch ein unabwendbares Ereignis (z. B. Corona-Krise) und dadurch verbundene wirtschaftliche Folgen (z. B. Auftragsmangel, keine Arbeitskräfte, etc.)

– Der Arbeitsausfall muss vorübergehend und unvermeidbar sein.

– Befristet bis Ende 2020 gilt, dass mindestens 10% der beschäftigten Arbeitnehmer/innen einen Entgeltausfall von mehr als 10% haben müssen.

– Im Betrieb muss mindestens ein Arbeitnehmer/in beschäftigt sein, § 97 SGB III.

– Die betroffenen Arbeitnehmer unterliegen einer versicherungspflichtigen, ungekündigten Beschäftigung, § 98 SGB III.

2. Leistungen der Agentur für Arbeit / Kurzarbeitergeld

Auf Grundlage von § 105 SGB III erhalten

– Arbeitnehmer/innen 60% des während der Kurzarbeit ausgefallenen Nettolohns.

– Arbeitnehmer/innen, die mindestens 1 Kind haben, 67% des ausgefallenen Nettolohns.

– Aufstockungsansprüche der Arbeitgeber sind in Einzelfällen möglich.

3. Individualrechtliche oder kollektive Voraussetzungen

Damit ein Arbeitgeber berechtigt ist, Kurzarbeit im Betrieb anzuordnen, ist eine individuelle oder kollektive Zustimmung von jedem Arbeitnehmer/in erforderlich. Entweder besteht bereits eine individualvertragliche oder kollektivrechtliche Zustimmung (Arbeits- und/oder Tarifvertrag) zwischen den Parteien oder es wird eine Ergänzungsvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien geschlossen, die dem Arbeitgeber die Anordnung von Kurzarbeit mit Zustimmung des/r Arbeitnehmers/in erlaubt.

4. Beantragung Kurzarbeitergeld

Die Beantragung von Kurzarbeitergeld kann durch den Arbeitgeber online bei der Bundesagentur für Arbeit vorgenommen werden.

Die Antragstellung erfolgt zunächst mit der Anzeige des Arbeitsausfalls – Formular KUG 101 – und wird nach Mitteilung der Agentur für Arbeit fortgeführt mit dem Leistungsantrag – KUG 107 – und der Abrechnungsliste / Pauschalierte SV-Erstattung als Anlage zum Leistungsantrag – KUG 108.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

Tim Reichelt

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